100.000 für den Frieden

Als sich in Österreich etwas bewegte: Die nukleare Bedrohung der 80er brachte Hunderttausende auf die Straße.

30 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges bestand in Europa die Furcht vor einem Dritten Weltkrieg, der, angesichts der technischen Entwicklung der Vernichtungswaffen, auch der letzte der Menschheit hätte werden können. Europa hatte bereits zwei große Kriege erlebt, und in dem sich verschärfenden Ost-West-Konflikt, dem sogenannten Kalten Krieg, war durch das Drehen an der Rüstungsschraube ein dritter Vernichtungskrieg offensichtlich zu greifen. Vor diesem Hintergrund entstand auch in Österreich in den 1980er-Jahren eine Friedensbewegung, deren Inhalt die Auseinandersetzung mit dem Kalten Krieg, einem drohenden Weltkrieg, aber auch die weltweite Hochrüstung war.

Menschenkette mit einem Transparent. Auf dem Transparent ist ein Zug aufgemalt. Darauf steht: Friedenszug.
In Innsbruck erfolgte die Mobilisierung für den Sonderzug nach Wien mittels symbolischem „Friedenszug“ durch die Innsbrucker Innenstadt. © Privatarchiv Rosmarie Thüminger

Wien im Oktober 1983

Am 22.10.1983 versammelten sich 100.000 Friedensbewegte in Wien. 5.000 Menschen bildeten eine 5 km lange Menschenkette von der US-amerikanischen Botschaft bis zur Botschaft der Sowjetunion. Dies war der Höhepunkt einer Bewegung, die ihren zeitlichen Ausgangspunkt Ende der 1970er-Jahre hatte und ihre Bestimmung in der Bewahrung der Menschheit vor einer nuklearen Kriegskatastrophe sah. Diese Friedensbewegung war wohl die größte soziale Bewegung der Zweiten Republik und stand ganz im Zeichen des Kalten Krieges. Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft und unterschiedlicher politischer Richtungen fanden sich zusammen, um, unterstützt durch internationale und nationale Künstler, gegen die geplante Aufrüstung und Kriegsgefahr weltweit und in Europa einzutreten. Auslöser dieser Bewegung war die, von der NATO, geplante Stationierung der Mittelstreckenraketen in der BRD, was im Kriegsfall Europa zu einer nuklearen Wüste gemacht hätte.

Gegen Atomraketen

Die Friedensbewegung erreichte in Österreich in den 1980er-Jahren ein beträchtliches Ausmaß und wurde zum Thema in Fernsehsendungen, Fernsehdiskussionen, Hörfunkjournalen und Printmedien. Welche Erfolge sie konkret verzeichnen konnte, ist schwer einzuschätzen. Obwohl das primäre Ziel der Friedensbewegung, die Verhinderung der Stationierung von Pershing-II-Raketen und Cruise-Missiles in Europa, nicht erreicht werden konnte, kann vor allem ein gesellschaftlicher Wandel festgestellt werden. Die Friedensarbeit institutionalisierte sich, und in beinah allen österreichischen Landeshauptstädten wurden Friedensbüros gegründet (z.B. in Salzburg 1986). Auf gesellschaftlicher Ebene kann als Beispiel der Zivildienst genannt werden, der ab 1975 lange Zeit verpönt waren, aber mit der Zeit der Friedensbewegung zur gesellschaftlich und politisch anerkannten Alternative wurde. Man kann im Fall der österreichischen Friedensbewegung von einer friedlichen, sozialen Bewegung sprechen, die nur selten in Konflikte mit der Polizei kam. Grund dafür war unter anderem bestimmt auch die große Teilnehmerzahl und die Teilnahme von Organisationen wie der Katholischen Kirche oder namhaften Künstlern und Schauspielern wie Otto Tausig. Große öffentliche Aufmerksamkeit erhielten die Aktionen der Friedensbewegung, bei denen internationale und nationale Künstler beteiligt waren. Der Friedenszug der „Künstler für den Frieden“ durch die Landeshauptstädte wurde von der ehemaligen ORF-Jugendsendung „Ohne Maulkorb“ ausführliche dokumentiert und erreichte dadurch zahlreiche, vor allem junge, Menschen.

Buntes Spektrum

Das Thema Frieden wird traditionell von vielen verschiedenen politischen und religiösen Gruppierungen beansprucht. Ebenso heterogen war die ideologische Ausrichtung der Aktivisten. So versammelten sich zu den Veranstaltungen religiöse, bürgerlich-konservative, sozialdemokratische, anarchistische, feministische, sozialistische und kommunistische Kräfte. Hervorzuheben ist besonders das Engagement der Parteijugendorganisationen der SPÖ und ÖVP, die maßgeblich zur Mobilisierung der Jugend beitrug, und durch ihre Rolle in der österreichischen Friedensbewegung auch in Konflikt mit ihren Parteien kamen. Diese Heterogenität brachte aber auch zwangsläufig politische Uneinigkeiten mit sich.

Eingebunden in den Ost-West-Konflikt


Die internen Streitereien der Friedensbewegung liefen entlang der ideologischen Positionen im globalen Ost-West-Konflikt. So ergab sich als zentraler Konflikt die unterschiedliche Auffassung über die Ursache der Rüstungsspirale im Kalten Krieg. Der Westen sah die Stationierung der Mittelstreckenraketen in der BRD (Pershing-II) als Gegenmaßnahme zu den sowjetischen Raketen (SS-20) mit Reichweite auf die europäischen Bündnispartner der USA. Während ein Teil der Friedensbewegung diese Interpretation für richtig hielt, führte der links orientierte Teil die grundsätzlich aggressive, imperialistische Politik der USA und die damit einhergehende expansive Aufrüstung Europas ins Treffen. Trotz dieser ideologischen Uneinigkeiten gelang es der Friedensbewegung sich auf eine gemeinsame Forderung zu einigen. Diese wurde 1982 im Linzer Appell formuliert und lautete: „Ich appelliere an die österreichische Bundesregierung, sich gegen die Stationierung von Pershing-II und Cruise Missiles in Europa auszusprechen und gemeinsam mit anderen Staaten korrekte und wirksame Maßnahmen zur Verhinderung der Stationierung als ersten Schritt für ein atomwaffenfreies Europa zu treffen.“

Politische Aufklärungsarbeit in Innsbruck. Rosmarie Thüminger (rotes Oberteil) verteilt Flyer. © Privatarchiv Rosmarie Thüminger

Kunst und Aktion

In der Öffentlichkeit trat die Friedensbewegung vor allem durch Demonstrationen und Veranstaltungen der „Künstler für den Frieden“ in Erscheinung.
 Die erste große Demonstration, der „Lange Marsch für Abrüstung und Frieden“ fand am 27. Juni 1981 in Wien statt und versammelte 5.000 vornehmlich junge AktivistInnen. Das Hauptanliegen war die Forderung nach einer entmilitarisierten Gesellschaft, sowie die Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile und sozial nützliche Güter. Im Oktober desselben Jahres konnte man die Teilnehmerzahl bereits verdoppeln. Zur gleichen Zeit fanden auch in anderen europäischen Großstädten wie London, Rom oder Amsterdam Großdemonstrationen Friedensbewegter statt. Nach internationalem Vorbild beschloss man auch eine gesamtösterreichische Demonstration in Wien zu planen. Diese Demonstration, die von ca. 160 Organisationen unterstützt wurde, erlangte bereits im Vorfeld große mediale Aufmerksamkeit. So titelten die Oberösterreichischen Nachrichten am 17.4.1982: „SP-Führung hat Angst, Parteijugend könnte ihr über den Kopf wachsen“. Der damalige Klubobmann Heinz Fischer wandte scharfe Worte in Bezug auf die SPÖ-Jugend an: „Man muß den Jungen klarmachen, wieweit ihr Spielraum reicht.“ Laut Zeitungsartikel bestand in der SPÖ die Sorge, die Veranstaltung könnte in eine antiamerikanische Kundgebung ausarten. Die Konflikte zwischen der SP und ihrer Parteijugend lassen sich vor allem auf unterschiedliche politische Ausrichtungen zurückführen. So hielt Fischer, im Gegensatz zur SPÖ-Parteijugend, österreichische Waffenexporte weiterhin für notwendig, und Josef Cap, damaliger Vorsitzende der Jusos, warf Parteivorsitzenden Bruno Kreisky einen Denkfehler vor, da dieser von einem vorhandenen militärischen Gleichgewicht zwischen Sowjetunion und USA ausginge, real aber die USA überlegen sein würden.

Kommunistische Unterwanderung?


Eine antikommunistische Grundstimmung in den Medien ist nicht von der Hand zu weisen. Diese hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die Friedensbewegung als kommunistisch unterwanderte Bewegung zur Unterstützung der vermeintlichen Expansionsbestrebung der Sowjetunion zu desavouieren. Nicht selten wurde sie gänzlich als von Moskau gesteuerte Bewegung dargestellt. Am 15.5.1982 fand eine weitere große Demo mit 70.000 Teilnehmern statt. Auch hier wurden antikommunistische Ressentiments geschürt. Dieter Kindermann, Innenpolitik-Redakteur der Kronen Zeitung, warnte vier Tage vor der Demonstration, dass die KPÖ-Mitmarschierer die amerikanischen Kriegsschürer verdammen und die sowjetischen Friedensapostel hochjubeln würden. Aus diesem Grund, so Kindermann, wäre es kein Wunder, dass die Freiheitlichen und Liberalen in Salzburg eine eigene Friedenskundgebung veranstalten würden.

Forderungen und Feste

Die Slogans auf den Transparenten waren ebenso vielfältig, wie die Ausrichtungen der teilnehmenden Gruppierungen und „Privataktivisten“. Sie reichten von klassischen Abrüstungsaufrufen wie „Den Atomkrieg verhindern – Abrüsten!“, bis hin zu Aufforderungen wie „Sät Cannabis statt Hass“, einem individuellen Arbeitsgesuch eines Oberösterreichers: „Senkung der Rüstungskosten – für den Gerhard einen Posten“, oder dem Bekenntnis „Lieber Rotwein als Totsein“. Aus manchen Städten wie Salzburg, Innsbruck oder Graz gab es Sonderzüge, in Graz mussten Busse die fehlenden Kapazitäten der Sonderzüge ergänzen.

Entgegen den polizeilichen Erwartungen lief die Demonstration ohne Zwischenfälle ab. Am Rathausplatz hielten unter anderem Josef Cap und Othmar Karas, damaliger Obmann der Jungen ÖVP, Reden. Als Karas auf angebliche Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion hinwies, und die in Unfreiheit lebenden Menschen in der DDR grüßte, zeigte das Pfeifkonzert die wesentlichen politischen Differenzen zwischen linksorientierten und konservativen Ideologien. Der Friedensmarsch gipfelte in einem riesigen Volksfest. Sigi Maron sang „Do wo da letzte von uns Frieden schreit“, die Grazer Musikgruppe „Roter Gamsbart“ sang „Stellt euch vor, es herrscht Bombenstimmung, und eine Bombe verpatzt euch die Stimmung“.

100.000 Friedensbewegte

Obwohl es schien, als würde die österreichische Friedensbewegung nach ihrer größten Demonstration mit 100.000 Teilnehmern ein abruptes Ende finden, kann bei genauer Betrachtung des gesellschaftlich-politischen Zusammenhanges von einem langsamen, schleichenden Prozess gesprochen werden. Das Abflachen der Friedensbewegung wurde durch mehrere Faktoren beeinflusst. Durch die Stationierung der Pershing-II-Raketen, deren Verhinderung oberstes Ziel war, erlitt die Friedensbewegung eine Krise. Bis Mitte der 1980er war die österreichische Regierung der Friedensbewegung relativ gut gesinnt, musste Österreich doch als neutrales und atomwaffenfreies Land international seinen Ruf schützen. Es kam zu einer Verlagerung der politischen Ressourcen und das Thema Umwelt rückte zunehmend in den Fokus sozialer Proteste und Bewegungen (Hainburg). Das Thema Frieden hingegen institutionalisierte sich zusehends. Der Bedeutungsverlust und das Abflachen der österreichischen Friedensbewegung muss aber auch im internationalen, globalen Kontext betrachtet werden. Auf die Phase der linken Befreiungs- und Selbstbestimmungsbewegungen folgte eine Phase konservativer Regierungen und Bewegungen, dies hatte schließlich auch eine Krise der gesamten Linken zur Folge. 1987 unterschrieben die USA den bereits seit 1958 bestehenden Vorschlag zur Beseitigung aller Kurz- und Mittelstreckenraketen in Europa. Mit der Regierungsübernahme durch Gorbatschow in der UdSSR und die damit verbundenen massiven Abrüstungsbestrebungen entspannte sich schließlich die weltpolitische Lage.

Doch das Thema Frieden hat angesichts der globalen Entwicklungen an seiner Aktualität nichts verloren. Auch nach dem Golfkrieg (1991), dem Kosovokrieg (1998) oder dem Irakkrieg (2003) haben Kriege an der Zahl nicht abgenommen, sie haben sich nur zunehmend regionalisiert. Ging man in den 80er Jahren noch auf die Straße um seine Empörung auszudrücken und Druck aufzubauen, scheint diese Bereitschaft heute stark rückläufig.

Friedensaktivisten am Wort

Sigi Maron (sozialkritischer Liedermacher, † 2016): „Die Medien waren nicht auf Seite der Friedensbewegung. Wir sind immer verunglimpft worden als Anhänger Moskaus. Was die Friedensbewegung sicher nicht war. Wir waren breit aufgestellt, und von Trotzkisten bis Erzkatholen war alles dabei.“

Rosmarie Thüminger (Schriftstellerin, erhielt 1989 den Österreichischen Kinderbuchpreis und 2014 den Otto-Grünmandl-Literaturpreis)
: „Also für den Frieden hab’ ich mich schon seitmeiner Kindheit interessiert. Krieg war für mich immer schon was Entsetzliches. Mein Vater war Lehrer und wir haben am Gerlosberg in einem
 Schulhaus gewohnt. Da hat die Mutti immer Brot,
 Erdäpfel und so Sachen in eine kleine Nische hinausgelegt, weil wir die Kriegsgefangenen gesehen
 haben. Das meiste waren Polen, Russen oder
 Italiener, die sind immer eingesetzt worden bei
 Bauern oder auch bei einem Kraftwerk, das gebaut werden sollte. Und die haben immer am Schulhaus vorbeimarschieren müssen, und wir haben gesehen wie verhungert die ausgeschaut haben. Auch die Bekleidung war in diesen harten Wintern unzulänglich. Und mein Vati war damals auch im Krieg, und da haben wir immer Angst gehabt ob er wiederkommt und ob er gesund ist. Darum war die Frage Krieg und Frieden immer wesentlich für mich, schon von Kindheit an.“

Hannes Schlosser (Journalist, von 1982 bis 1990 Aktivist der Tiroler Friedensplattform): „Die Friedensbewegung hat ihre vordergründigen Ziele nicht erreicht. Und das ist sicherlich etwas, was für das Fortbestehen der Friedensbewegung in der Form nicht zuträglich war. Weil, wer verliert schon gern? Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass diese Demonstrationen für viele, ein beträchtlicher Teil von denen war das erste Mal in ihrem Leben auf einer Demonstration, ein wichtiger Politisierungsschritt war.“

Die Österreichische Mediathek stellt in ihrem Online-Archiv sehenswertes Videomaterial über die oben erwähnte Demonstration der Österreichischen Friedensbewegung am 15.5.1982 unter dem Motto „Den Atomkrieg verhindern! Abrüsten.“ zur Verfügung.

Dieser Artikel entstand im Kontext meiner Abschlussarbeit an der Uni Salzburg. Diese kann in der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät in Salzburg ausgeliehen werden.
Oder nehmen Sie Kontakt mit mir auf: kontakt@hannahwahl.at

Wahl, Hannah Marlene: „Also Krieg war für mich immer schon was ganz was Entsetzliches…“. Die Österreichische Friedensbewegung der 1980er Jahre, Bachelorarbeit, Salzburg 2015.

Titelbild: Zitat von Oskar Dichter, erste Seite der Abschlussarbeit