Filmschmankerl #2 – Indie
Von Hannah Wahl und Bernhard Landkammer
Das Independent-Kino erfreut sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit. Das geht in manchen Fällen so weit, dass auch kleine Nischenfilme mit einem üppigen Budget ausgestattet werden. Doch auch kleine Produktionen können sich immer wieder im (Feuilleton-)Mainstream festsetzen. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass auch große Studios mit Untersparten wie Fox Searchlight oder Paramount Vantage in diesen Markt eingestiegen sind.
Seit der Jahrtausendwende erfährt auch das Genre des Coming-of-Age verstärkte Aufmerksamkeit. Obwohl sich die darin angelegten Muster bis in die Anfänge der Filmgeschichte nachverfolgen lassen (vom Entwicklungsroman ganz abgesehen), widmen wir uns in unserem zweiten Teil der Filmschmankerl den Highlights des Coming-of-Age seit 2000.
Garden State (USA, 2004)
Das Regiedebüt vom damaligen Scrubs-Star Zach Braff vereint quasi alle Trademarks, die Indie-Filme ausmachen: Verschrobene Charaktere, einen unwiderstehlichen Soundtrack und eine melancholische Feel-Good-Stimmung. Im Mittelpunkt steht die Rückkehr des stark sedierten Andrew in seine Heimatstadt im “Garden State” New Jersey nach dem Tod seiner Mutter. Seine Filmkarriere in Los Angeles konnte er nie wirklich ankurbeln, in seiner Heimatstadt wird er allerdings als großer Filmstar gesehen. Nachdem er seine Medikamente absetzt, entwickelt er sich vom gefühlstauben Außenseiter zum emotionalen und aktiven jungen Mann. Dazu trägt sicher auch die chronische Lügnerin Sam bei, liebevoll verplant dargestellt von Natalie Portman. Der Film begeistert durch seine Nähe zur eigenen Jugend, mit unerwarteten, nie ins Alberne abrutschenden Witzen und großen Gefühlen. Die Blaupause für eine Welle an ähnlich gelagerten Filmen, die in den folgenden Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind.
Let The Right One In (Schweden, 2008)
Es müssen nicht immer die USA sein, es müssen nicht immer die Probleme von Mittzwanzigern sein und es muss auch nicht immer Wohlfühlstimmung sein, wenn es um Coming of Age geht. Der schwedische Vampirfilm Let The Right One In ist ein starker Beweis dafür. Angesiedelt im winterlichen Schweden der 1980er Jahre setzt der Film, seiner Vampirthematik entsprechend, auf eine düstere und kalte Stimmung. Der schüchterne, zwölfjährige Oskar wird in der Schule teilweise auch gewalttätig schikaniert und staut zunehmend Aggressionen an. Als die mysteriöse Eli in die Nachbarwohnung zieht, freundet er sich langsam mit der Gleichaltrigen an. Eine Schneise aus Gewalt und Blut kündigt an, dass Eli alles andere als ein normales Mädchen ist. Die zarte Liebesgeschichte, die sich hier entspinnt, wird von ruhigen Bildern eingefangen, die immer wieder von physischen und psychischen Gewaltsequenzen durchbrochen werden. Poetische Bilder und eine bedrückend schöne Atmosphäre zeigen Erwachsenwerden, Liebe und Widerstand auf metaphorisch-beeindruckende Weise.
Frances Ha (USA, 2012)
Mit dem Independentfilm Frances Ha schuf Regisseur Noah Baumbach ein stimmiges Gesamtkunstwerk, das neben seiner unkonventionellen Kameraführung und der wohl gewählten Szenerie, besonders durch den starken Charakter der Hauptfigur im Gedächtnis bleibt. Schauspielerin Greta Gerwig, “Queen des Mumblecore”, brilliert als 27-jährige Frances, die immer noch nicht im Leben angekommen ist und dort auch nicht ankommen will. Sie ist frisch single, wohnt in einer WG und verdient als Leiterin der Anfänger-Tanzkurse nicht annähernd genug Geld. Der Film, der durch die schwarz-weiß Kulisse im urbanen Manhattan und Brooklyn einen grandiosen Vintage-Look erhält, wird von Kritikern gerne mit den Woody Allens Erfolgsfilm “Manhattan” verglichen. Das Drehbuch der melancholisch-romantischen Komödie, an dem auch Greta Gerwig beteiligt war, besticht durch seine witzig-komischen Dialoge, die trotz ihrer Besonderheit nicht konstruiert, sondern situativ-spontan klingen.
La vie d’Adèle (Frankreich, 2013)
Das Filmdrama La vie d’Adèle, eine Interpretation der Graphic Novel Le Bleu est une couleur chaude von Regisseur Abdellatif Kechiche, erzählt in 179 Minuten die Geschichte von Adèle, die zu Beginn des Films noch zur Schule geht. Die 15-jährige, noch etwas unsicher wirkende Adèle macht erste Erfahrungen mit ihrer Sexualität und beginnt sich selbst besser kennenzulernen. Eines Tages trifft sie auf die ältere Kunststudentin Emma, mit der sie eine intensive Beziehung beginnt. Trotz der recht präsenten und expliziten Sexszenen ist der Film kein inhaltsarmer Softporno, sondern ein außergewöhnlich intimes Drama mit Tiefe und einer Kameraführung, die eine besonders enge Nähe zum Geschehen aufbaut. La vie d’Adèle soll jedoch die einzige Zusammenarbeit des Regisseurs mit den Hauptdarstellerinnen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos bleiben, da beide wegen der inakzeptablen Zustände am Set nie wieder mit ihm drehen wollen.